Grundkonsens
Im Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage (kurz "Bündnis") schließen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Zivilgesellschaft, Politik und Kirche zusammen, um sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und gegen totalitäre und menschenverachtende Bestrebungen aller Art einzusetzen.
Aktuelles Ziel ist es, unsere offene Gesellschaft insbesondere gegen die Ideologie von Neonazis zu schützen. Dazu sollen die Menschen über ausgrenzende, Menschrechte verneinende Handlungen, Aussagen und Ideen aufgeklärt werden. Bei gegebenen Anlass wird zu einem demonstrativen Protest gegen neonazistische Aufmärsche mobilisiert. Zum Anderen leistet das Bündnis stetig Präventionsarbeit gegen die Ausbreitung von menschenfeindlichem und antidemokratischem Gedankengut und versucht, in geeigneter Form einen fairen demokratischen Diskurs zwischen Vertretern und Vertreterinnen der Politik und der Bevölkerung zu fördern. So sollen die demokratischen Werte in der Gesellschaft stärker verankert werden.
Das Bündnis versteht sich als offen für die Mitarbeit aller freiheitlich-demokratisch denkenden Menschen und Vereinigungen. Zur Mitarbeit eingeladen sind alle, die die Würde aller Menschen anerkennen (personale Individualität, Identität und Integrität, elementare Rechtsgleichheit), die das Demokratieprinzip bejahen (gleichberechtigte Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung, Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk) sowie den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit akzeptieren (Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, Kontrolle durch unabhängige Gerichte, Gewaltmonopol des Staates).
Das Bündnis ist in seiner Ausprägung so vielfältig wie die Akteure, die sich darin zusammenschließen. Es besteht gegenseitiger Respekt hinsichtlich sämtlicher politischer Aktivitäten auf den verschiedenen Feldern der Politik, sofern sie nicht gegen die Grundsätze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sind. Zu den verschiedenen politischen Aktivitäten der einzelnen Akteure wird das Bündnis keine Stellung beziehen. Daneben ist die Arbeit geprägt von gegenseitigem Vertrauen in die demokratischen, menschenfreundlichen und anti-doktrinären Grundwerte der jeweils anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Die Mitglieder praktizieren untereinander Demokratie, indem sie aufeinander hören, andere Sichtweisen gelten lassen und bereit sind, Kompromisse zu finden. Ebenso verzichten die Vertreterinnen und Vertreter darauf, ihre Partner im Bündnis für eigene Ziele zu vereinnahmen oder sich im Rahmen von Aktionen des Bündnisses auf Kosten anderer Vertreterinnen und Vertreter zu profilieren. Ob und wie bei Veranstaltungen Parteisymbole verwendet werden können, wird jeweils im Einzelfall entschieden.
Das Bündnis wird nur zu friedlichen Aktionen aufrufen, über deren Methoden ein Konsens erzielt worden ist. Menschenblockaden gehören derzeit nicht dazu. Vom Bündnis verantwortete Aktionen richten sich nicht gegen die Polizei oder weitere Ordnungskräfte. Von seinen Aktionen geht keine Eskalation aus. Zugleich respektieren die Vertreterinnen und Vertreter im Bündnis die Vielfalt von Formen des friedlichen Widerstandes, die außerhalb der eigenen Aktionen zur Ausführung kommen - auch wenn nicht alle Methoden von allen Mitgliedern mitgetragen oder für ausreichend angesehen werden.
Die Prinzipien der Gewaltlosigkeit, der Rechtsstaatlichkeit, der Achtung der Würde des Menschen und der Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen sind für die Partnerschaft im Bündnis grundlegend. Diese Prinzipien markieren aber auch die Grenzen der Toleranz. Das Bündnis wird dementsprechend nicht mit Organisationen zusammenarbeiten, deren Kennzeichen eine Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates ist und deren bestrebungen sich gegen den Kernbestand des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sowie gegen die freiheitlich-demokrazische Grundordnung richten. Quellen für eine derartige Einschätzung sind persönliche Gespräche und Erfahrungen mit betreffenden Personen sowie Veröffentlichungen auf breiter wissenschaftlicher grundlage und die aktuellen Verfassungsschutzberichte des Bundes und des Freistaates Sachsen. Ebenso sind Organisationen von der Zusammenarbeit ausgeschlossen, in deren schriftlichen oder mündlichen Verlautbarungen andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer geschlechtlichen Identität und Sexualität, ihres Glaubens oder äußerer Merkmale diskriminiert werden.
Acht Schritte zur konsensualen Entscheidungsfindung Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage
1. Entwicklung einer Fragestellung
- Welche Vorstellungen haben die Beteiligten zur infrage stehenden Angelegenheit? Diese werden gesammelt und als verschiedene Möglichkeiten betrachtet und zunächst nicht kommentiert oder diskutiert.
- Beispiel Kürbis: Was machen wir mit dem Kürbis in unserer Mitte?
2. Prüfung, ob ein Konflikt vorliegt: Die Bedürfnisse aller Beteiligten überprüfen
- Ist da eine Möglichkeit, die alle weitgehend überzeugt?
- Wenn nein: Können die verschiedenen Vorstellungen aller Beteiligten nebeneinander umgesetzt werden?
- Wird eine der vorangestellten Fragen mit „Ja“ beantwortet, ist der Konsens hergestellt.
- Kann diese Frage nicht mit Ja beantwortet werden, ist zu Schritt 3) überzugehen
- Beispiel Kürbis: Wollen alle ein Stück Kürbis, oder gibt es unterschiedliche Bedürfnisse, z. B. eine Person möchte Fruchtfleisch, die andere die Kerne, die dritte die Schale? Wenn all diesen drei Bedürfnissen entsprochen werden kann, dann gibt es gar keinen Konflikt. Alle bekommen, was sie sich wünschen.
3. Veränderung: Überprüfung aller Annahmen und Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten:
- Stimmen die Grundannahmen?
- Können die Rahmenbedingungen geändert werden?
- Wenn das zum Ziel führt, ist der Konsens hergestellt.
- Ist keine Änderung der Rahmenbedingungen möglich, die einen Konsens zulässt, Übergang zum nächsten Schritt.
- Beispiel Kürbis: Müssen wirklich alle gleichzeitig diesen Kürbis haben? Gibt es noch andere Möglichkeiten, an weitere Kürbisse zu kommen etc.?
4. Kompromiss:
- Die Beteiligten kommen sich entgegen und schränken sich alle gleichermaßen ein.
- Wenn auch ein Kompromiss nicht möglich ist, dann Übergang zu Schritt 5)
- Beispiel Kürbis: Teilung des Kürbisses in gleichgroße Teile für jeden Anwesenden.
5. Einige organisieren die Angelegenheit diesmal ohne das Bündnis
- Einzelne Akteure finden sich zusammen und organisieren die fragliche Angelegenheit in eigener Verantwortung ohne das Bündnis.
- Nachteil: Der Vorteil einer breit angelegten Mobilisierung und breiten Legitimation der fraglichen Angelegenheit entfällt. Die Frage könnte im Raum stehen, wozu das Bündnis überhaupt gebraucht wird.
- Wenn diese Möglichkeit ausscheidet, wird zu Schritt 6) übergegangen, der in einer weiteren Sitzung vollzogen wird, die in einem angemessenen Abstand zur ersten Sitzung abgehalten wird.
- Beispiel Kürbis: Einzelne tun sich zusammen, um den Kürbis unter sich zu teilen, weil er anderen nicht schmeckt. Aber möglicherweise misslingt die Zubereitung, wenn nur wenige mithelfen.
6. Bewertungsphase
- Dieser Schritt erfolgt in einer neuen Sitzung, die in einem angemessenen Abstand zur ersten Sitzung abgehalten wird. Zu dieser Sitzung wird mit ausführlichen Informationen eingeladen. Mitentscheiden kann nur, wer anwesend ist.
- Die auf dem Tisch liegenden Möglichkeiten bzw. Vorschläge werden mit Widerstandspunkten bewertet (W-Punkte):
9-10 Punkte: „Veto! Ich will nicht, das das passiert.“
7-8 Punkte: „Diesmal ohne mich; ihr könnt das machen, aber ich beteilige mich nicht.“
5-6 Punkte: „Ich habe schwere Bedenken, aber ich mache gerade so mit.“
3-4 Punkte: „Ich habe leichte Bedenken, aber ich beteilige mich.“
1-2 Punkte: „Zustimmung! Ich gehe voll mit.“
- Die Bewertungen werden notiert und jeweils summiert
- Die Lösung mit der geringsten Punktzahl ist einem Konsens am nächsten. Die fragliche Angelegenheit ist entschieden; die tatsächliche Umsetzung ist aber noch nicht beschlossen, falls ein oder mehrere Beteiligte7 bis 10 W-Punkte vergeben haben.
- Falls ein oder mehrere Beteiligte 7 bis 10 W-Punkte vergeben haben, wird der Übergang zu Schritt 7) vollzogen.
- Beispiel Kürbis: Wir haben zwar einen Teilungsvorschlag für den Kürbis, der relativ wenig Widerstand hervorruft. Aber teilen den Kürbis noch nicht auf.
7. „Diesmal ohne mich!“
- Diejenigen Akteure, die 7 oder 8 W-Punkte vergeben haben, erklären auf Nachfrage, dass sie tatsächlich bei der infrage stehenden Angelegenheit zwar nicht dabei sein können, ihr aber auch nicht im Wege stehen und an einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Bündnis grundsätzlich interessiert sind.
- Wir klären, ob und wie diese Haltung nach Außen kommuniziert wird.
- Die anderen Beteiligten versprechen, die Bedürfnisse des Verzichtenden nicht aus den Augen zu verlieren.
- Sofern nicht andere Akteure 9 oder 10 W-Punkte vergeben haben, ist ein eingeschränkter Konsens erreicht und die fragliche Angelegenheit zu Umsetzung freigegeben.
- Sofern aber andere Akteure 9 oder 10 W-Punkte vergeben haben, werden sie nun gefragt, ob sie sich doch auf das „Diesmal ohne mich“ einlassen können.
- Wenn das nicht möglich ist, gibt es für das Bündnis drei Möglichkeiten:
a) Auf das infrage stehende Vorhaben wird verzichtet.
b) Es wird ein weiters Mal Schritt 5) erwogen.
c) Übergang zu Schritt 8)
- Beispiel Kürbis: Jemand verzichtet für diesmal auf einen Anteil vom Kürbis und isst stattdessen für sich allein einen kleinen Apfel. Er möchte und darf beim nächsten Mal wieder mit den anderen gemeinsam Kürbis essen.
8. Externe Hilfe
- Sollte es bis hierher keine Einigung geben haben, die Angelegenheit von der Mehrheit der Mitarbeitenden im Bündnis aber als sehr wichtig für die weitere Arbeit des Bündnisses angesehen werden, wird in einer weiteren Sitzung eine externe Stelle hinzugezogen, um die Lösung der Angelegenheit zu moderieren.
- Wird diese Möglichkeit nicht gesehen oder scheitert auch die externe Moderation folgt Übergang zu Schritt 9)
- Beispiel Kürbis: Jemand, der keinerlei Interesse an dem Kürbis hat, versucht eine Einigung über die Aufteilung des Kürbisses zu erreichen.
9. „Ich bin bis auf Weiteres raus.“
- Die Mehrheitsentscheidung nach dem W-Punkte-Verfahren von Schritt 6) wird in dem Wissen bestätigt, dass sie einem oder mehreren der bisherigen Akteure eine weitere Zusammenarbeit mit dem Bündnis unmöglich macht.
- Diese Bestätigung erfolgt im Konsens der im Bündnis verbliebenen Akteure.
- Das Konsensprinzip gilt für die Bündnis verbliebenen Akteure weiterhin.
- Schritt 8) sollte möglichst vermieden werden. Die Vermeidung von Schritt 8) liegt in der Verantwortung aller an der Entscheidungsfindung beteiligten – auch bei denen, die überstimmt worden sind.
- Beispiel Kürbis: Der nächste Kürbis wird nur noch unter denen verteilt, die auch den letzten Kürbis verspeist haben.
Das ist zu bedenken:
Ein Großteil aller Entscheidungen lassen sich über die Schritte 2) bis 3) finden; dieser Weg ist anzustreben – auch im Hinblick auf die Effektivität der Arbeit und das Zeitbudget der Mitarbeitenden. Wenn die Schritte 4), 5) und 8) zur Entscheidung geführt haben, ist der grundsätzliche Konsens im Bündnis ebenfalls erhalten.
Nur im größten Notfall sollten der Schritt 7) und 9) zur Anwendung kommen, denn bei Mehrheitsentscheidungen wird es immer eine unzufrieden bleibende Minderheit geben, was auf längere Sicht die Arbeit im Bündnis erheblich gefährden kann.